Romantische ter Haseborg-Orgel

Prospekt der Martin ter Haseborg – Orgel der St. Ludwigskirche, Celle, erbaut 1998
32 Register auf 2 Manualen und Pedal)
Franz Liszt (1811-1886)
          Variationen über den Basso continuo der Kantate 
          „Weinen, Klagen Sorgen, Zagen sind der Christen Tränenbrot“
          von Johann Sebastian Bach (1863)
Klaus-Hermann Anschütz an der romantischen ter-Haseborg-Orgel, St. Ludwig, Celle
Franz Liszts gewichtigste Werke sind dem Orchester und dem Klavier gewidmet, er schuf aber auch zahlreiche Orgelwerke, so 1863 in Rom die Variationen über den Basso continuo der Bach Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen sind der Christen Tränenbrot“, das er aber auch für Klavier bearbeitete. Das Stück verwendet den chromatisch absteigenden, ostinaten Lamentobaß des Eingangschors der Bach-Kantate, sowie den abschließenden Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“ Diese thematischen Vorgaben werden von Liszt zu einer ergreifenden symphonischen Dichtung gestaltet, die sicher im Zusammenhang mit seiner Weihe zum Abbé, einem unteren Kleriker, zu sehen ist. Ein Chaconneteil führt das ständig wiederkehrende chromatische Baßthema bis an die Grenzen tonaler Harmonik, steigert den Ausdruck in mehreren Anläufen bis zur Raserei und versinkt schließlich in überwältigender Resignation. Der Kontrast des abschließenden Chorals mit seiner, gleichsam aus allen chromatischen Irrungen und Wirrungen erlösenden, Diatonik könnte nicht größer sein. Wie so oft in der Romantik ist der Choral ein Symbol für den christlichen Glauben und seine Heilsgewißheit. kha

Hermann Schellenberg (1816–1862)
          Fantasie d-moll op. 10 (1850) 
          „zu Johann Sebastian Bachs hundertjährigem Gedächtnistage“
Klaus-Hermann Anschütz an der romantischen ter-Haseborg-Orgel, St. Ludwig, Celle
Hermann Schellenberg, gebürtiger Leipziger (1816-1862) war Organist der Johanneskirche zu Leipzig, aber auch erfolgreicher Orgelkomponist, Orgelvirtuose und Pädagoge. In zahlreichen Konzerten, die er vor allem im sächsischen Raum gab, spielte er vorrangig die Werke Johann Sebastian Bachs und seine eigenen. Zum Zum 100. Todestag Bachs im Juli 1850 entstand die grandiose Fantasie d-moll. Im Vorwort bekennt Schellenberg sich vorbehaltlos zur Tradition, beklagt, dass die Orgelmusik künstlerisch weitgehend darniederliege und fordert selbstbewusst eine Erneuerung aus dem Geiste Bachs aber auch Mozarts und Beethovens: „Blicken wir demnach auf Bach, wie er seine Sendung auf eine Weise erfüllte, welche noch die spätesten Generationen zu hoher Verehrung verpflichtet, auf die grossen Thaten Mozart‘s und Beethoven‘s, so erwächst uns, den Jetztlebenden, die Erkenntnis, dass die Orgelmusik, soll sie anders zu Bedeutung in der Gegenwart gelangen, nicht isolirt dastehen, sondern das ganze Gebiet des Tonsatzes umfassend auftreten müsse.“
Trotz des enthusiastischen Bekenntnisses zum Kompositionsstil Bachs und trotz des Anlasses der Komposition wartet die d-moll-Fantasie mit keinerlei kontrapunktischen Künsten auf, sondern mit virtuosen Klangvisionen im Geiste Wagners und der Neudeutschen. Auch die unüberhörbaren Anklänge an Toccata und Fuge d-moll, BWV 565, und die Fantasie G-Dur, BWV 572 weisen in diese, weniger kontrapunktorientierte Richtung. Schellenberg gestaltet damit seine romantische Sicht auf Bach: „Man mochte in dieser Zeit (der Zeit des Verfalls der Orgelmusik) an den Bachschen Werken lediglich nur die harmonischen und kontrapunktischen Kombinationen studirt und bewundert, doch die vielfachen Fingerzeige für den forschenden Geist, die wahre künstlerische, die Form selbstschöpferisch beherrschende Freiheit nicht herausgefunden haben.“ An Bach wird also nicht nur seine handwerkliche Virtuosität bewundert, er wird vor allem als romantisches, selbstschöpferisches Genie interpretiert und vereinnahmt. kha

Spieltisch
Disposition und Pfeifenwerk der ter Haseborg - Orgel in St. Ludwig, Celle 
erbaut 1998
 
Hauptwerk 
 
Bordun 16´
Principal 8´
Gambe 8´
Rohrflöte 8´   (Meyer-Pfeifen von 1843) 
Cornett 5fach 8´ ab f°
Octave 4´
Gemshorn 4´ (teilweise Pfeifen von 1843)
Quinte 2 2/3´
Octave 2´
Mixtur 4fach 1 1/3' 
Trompete 8´
Tremulant
 
Schwellwerk
 
Geigenprincipal 8´
Salicional 8´
Gedackt 8´     (Meyer-Pfeifen von 1843)
Vox coelestis 8´ 
Fugara 4´
Querflöte 4´
Nasard 2 2/3
Flachflöte 2´  
Terz 1 3/5´    
Mixtur 4fach 2'
Fagott 16´
Oboe 8´
Tremulant
 
Pedalwerk
 
Principal 16´ (4 Meyer-Pfeifen von 1843)
Bordun 16´    Transmission aus dem Hauptwerk
Octave 8´       
Gedackt 8´     (Meyer-Pfeifen von 1843) 
Octave 4´       (teilweise Pfeifen von 1843)
Quinte 2 2/3´           
Octave 2´       
Posaune 16´  
Trompete 8´  
 
Koppeln:                   I / Pedal, II / Pedal, Schwellwerk / Hauptwerk
                                   Subkoppel Schwellwerk, Subkoppel Schwellwerk an Hauptwerk

Mechanische Spieltraktur
elektrische Registertraktur mit Setzeranlage
 


Kurz erklärt:

Was ist das „romantische“ an der neuen Orgel der St. Ludwigskirche,Celle?

In der Planungsphase für die neue Orgel wurde 1996 ein Foto gefunden, das die ursprüngliche Meyer-Orgel im Zustand von ca. 1900 zeigt. (siehe unten). Deshalb wurde beschlossen, die neu zu bauende Orgel optisch und klanglich an der deutschen Romantik zu orientieren.
Stilistische Elemente sind u.a.
— ein verhältnismäßig großer Anteil von Grundstimmen, also 16′, 8′ und 4′ – Registern
— Soweit möglich, wurden historische Pfeifen in die neue Orgel integriert, z.B. die sonore Rohrflöte 8′ im Hauptwerk (s.u.)
— Die Orgel hat ein Schwellwerk mit einstellbaren Schwelltüren (s.u.)
— Bei der Intonation (der klanglichen Feineinstellung der Orgelpfeifen) wurde auf eine weiche Ansprache wert gelegt. Viele Pfeifen haben daher Expressionen (s.u.)

— Zum Schluß noch ein Blick auf das Äußere der Orgel, den Prospekt. Man kann am Prospekt schon sehen, welcher Klangästhetik das Instrument folgt.
Bei den meisten Barockorgeln kann man die einzelnen Teile der Orgel, die „Werke“ von außen gut erkennen: Das Hauptwerk, das den klanglichen Fundus der Orgel beinhaltet, die großen Pedaltürme an den Seiten, das unten in den Kirchenraum vorspringende Rückpositiv, u.s.w.. Dem entspricht eine die barocke Klangästhetik, nach der die einzelnen Bestandteile der Musik klar und deutlich unterschieden werden. So möchte z.B. Samuel Scheidt im Vorwort seiner Tabulatura nova (1624), dass die Choralmelodie „auff den Rückposetiv mit einer scharffen Stimme (den Choral desto deutlicher zu vernehmen)“ zu spielen ist.
Anders bei der romantischen Orgel in St. Ludwig: Von außen ist nicht zu erkennen, daß im Inneren der Orgel Pedalwerk, Haupwerk und Schwellwerk übereinander angeordnet sind. Die klassizistische Fassade macht einen flächigen und einheitlichen Eindruck. Dazu passt ein Klangideal, wie es Felix Mendelssohn-Bartholdy im Vorwort seiner Orgalsonaten (1845) formuliert: Die verschiedenen Register sollen zu den Stücken passend gemischt werden, der Spieler soll aber darauf sehen, „dass sich beim Zusammenwirken zweier Manuale das eine Klavier von dem anderen durch seinen Klang unterscheidet, ohne grell davon abzustechen…“.
Für diese Musik bietet die romantische Orgel von St. Ludwig wunderbare Möglichkeiten.

Karl Wilhelm und Eduard Wilhelm Meyer Orgel, erbaut 1841/43 (15 Register auf 2 Manualen und Pedal)
Historische Meyer Pfeifen (Rohrflöte 8′) im Hauptwerk der neuen Orgel
Die Schwelltüren seitlich im Schwellwerk lassen sich für stufenlose Lautstärkeveränderungen öffnen und schließen.
Der Schwelltritt über den Pedaltasten im Spieltisch steuert die Schwelltüren.
Die eingeschnittenen Öffnungen (Expressionen) im Register Gambe 8′ im Hauptwerk dienen einer weichen Ansprache der Pfeifen.