Anders als mit meiner Neuen Musik, die ich meist aus Eigeninteresse oder um ihrer selbst willen schreibe, und auch anders als bei meiner traditionsorientierten Kirchenmusik, sind meine Neuen Geistlichen Lieder aus dem „prallen Leben“ entstanden; sie sind Früchte intensiver Zusammenarbeit mit motivierten, meist jungen Menschen.
Ich hatte 1992 im Bistum Hildesheim die „Musikalischen Wochenenden für Jugendliche“ ins Leben gerufen, zu denen „alle Jugendlichen, die Freude am Singen und Musizieren haben“ eingeladen wurden zu Wochenenden „mit viel Musik und spannenden Begegnungen“. Bis 2019 fanden „MuWo’s“ mindestens 2mal im Jahr unter meiner Leitung statt; noch heute gibt eine Fortsetzung unter neuer Leitung.
2002 habe ich für besonders interessierte und versierte Jugendliche und junge Erwachsene das Ensemble Chor&Band Feuer&Flamme gegründet, das nach wechselvoller Geschichte bis heute und hoffentlich noch länger besteht. Hier können anspruchsvollere Arrangements realisiert werden. Vorwiegend in der Zusammenarbeit mit diesen Gruppen konnte ich meine 70 NGL’s schreiben, ausprobieren, aufführen und immer wieder verbessern. Zusätzlich entstanden sehr viele Arrangements und Bearbeitungen von Liedern anderer Autoren.
Einen Eindruck von der Motivation und der Begeisterung der jugendlichen TeilnehmerInnen vermitteln einige Reaktionen (s.u.), die mich im Laufe der Jahre erreichten. Besonders freue ich mich heute, wenn mir ehemalige TeilnehmerInnen sagen, dass das MuWo für sie in ihrer persönlichen Entwicklung als Jugendliche wichtig war, oder wenn sie die gemachten Erfahrungen in ihrem heutigen Umfeld weitergeben.
Die kleine Zitatensammlung enthält auch eine Auswahl positiver kirchenamtlicher Reaktionen, über die ich mich gefreut habe. – Es gab auch wiederholt widerständige und bremsende Eingriffe „von oben“, nach denen z.B. ambitionierte Jugendchorarbeit „nicht ins pastorale Format passt“ – aber das lasse ich besser undokumentiert, da so ein merkwürdiges „pastorales Format“ kaum zu verstehen ist.
Eine eher fachliche Betrachtung des Neuen Geistlichen Liedes und seine Musizierpraxis bei den „MuWo’s“ und „F&F“ bietet das abschließende Interview von 2003 im Rahmen der Examensarbeit eines ehemaligen Teilnehmers.
Teilnehmerin, 2001 Das MuWo im BORH in Hannover war übrigens wieder mal super! Ich find's echt toll, dass Du sowas machst! Ohne MuWos würde echt was fehlen in meinem Leben. Teilnehmerin, 2005, über das 27. MuWo in derZeitschrift JuMi Schon bevor ich nach Hause zurückfahre bekomme ich Heimweh nach einem neuen MuWo. Für mich sind diese MuWo-Wochenenden ein toller Treffpunkt mit Freunden und ein großartiges Erlebnis. (...) Während das Auto anrollt habe ich das Gefühl, eine Zauberwelt zu verlassen. Mutter, 2013 (...) Meine Tochter (...) singt unentwegt vor sich hin - Melodiefetzen vom Wochenende. Ich denke, vielen der Jugendlichen geht es so und eigentlich ist dies das beste Feedback, welches Sie allerdings nicht direkt mitbekommen. Es ist überhaupt keine Frage, dass Sie das toll machen: neben dem großen Können, welches immer wieder "durchblitzt", verkörpern Sie die Freude am Musizieren, gerade auch die Freude am "geistlichen" Musizieren und ich denke, dass die Jugendlichen dies sehr spüren und dass sie dieses Vorbild auch wirklich brauchen. Teilnehmerin (2016 nach dem 49. MuWo auf facebook) Hallo ihr lieben, auch ich wollte mich nochmal fuer dieses mega geile Wochenende bedanken. Schade das es so schnell vorüber ging. Ich finde es ist immer so ne tolle Sache, Leute kennenlernen die einfach die gleichen Hobbys haben bzw ein Hobby mit dir teilen. Und dabei Lachen und einfach sie selbst sind. Vor allem mag ich es, wenn nicht alles so auf 100% Ernst läuft... Kommentar bei facebook, 2014 "Wir sind wie eine große Family. Mit einem der größten Interessen: Musik!"
Kirchenzeitung für das Bistum Hildesheim, 19.04.1998: "Es macht Hoffnung, einen Dom voll junger Manschen zu sehen" - Mehr als 2500 Jugendliche aus allen Teilen des Bistums bei der Chrisammesse. ... Begeisterung ruft bei den Teilnehmern der Chrisammesse auch der "Jugendchor der Diözese" hervor, eine Gruppe, die sich wenige Tage zuvor auf dem Wohldenberg zusammengefunden und nun die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes übernommen hat. Mehrfach brandet für die jungen Musiker im Dom Beifall auf, am Schluß muß der Chor noch eine Zugabe geben. ... Bischof Josef Homeyer, 1999 Sehr geehrter Herr Anschütz, (...) Besonders danke ich Ihnen für die CD mit der Musik der letztjährigen Chrisam-Messe, die ich mit Freude genossen habe. Vor allem aber danke ich Ihnen für Ihren Einsatz für das Neue Geistliche Lied, insbesondere für die inzwischen 8mal durchgeführten "Musikalischen Wochenenden für Jugendliche auf dem Wohldenberg", die ich sehr begrüße. Ich denke, das Beispiel der letzten Chrisam-Messe, für deren Gestaltung ich Ihnen nachdrücklich danke, hat sehr deutlich gezeigt, daß es durchaus möglich ist, mit dem NGL einen Gottesdienst den liturgischen Erfordernissen entsprechend zu gestalten und ein hohes musikalisches Niveau zu erreichen. (...) Weihbischof Hans-Georg Koitz, 2001 (...) Ich fand es sehr angenehm in Ihrem Kreis. Die Jugendlichen haben prima mitgemacht. Sie haben eine gute Art zu führen und anderen etwas beizubringen. Diözesanjugendseelsorger Pfarrer Martin Wilk 2011: Gerne nehme ich Ihre Einladung an und freue mich darauf, mit Ihnen und den MuWo-Jugendlichen diesen besonderen Gottesdienst zu feiern. Ich nutze schon heute gerne die Gelegenheit, um Ihnen für Ihren großartigen Einsatz für das MuWo und für die Jugendlichen zu danken. Sie leisten damit nicht nur einen wichtigen Dienst für die Kirchenmusik, sondern gestalten gleichzeitig mit diesem besonderen Schwerpunkt die Jugendpastoral in unserem Bistum mit. Dafür danke ich Ihnen herzlich.
ehemalige Teilnehmerin, 2011 (früher Austauschschülerin, heute Dozentin an einer Kirchenmusikhochschule in den USA) Several years ago, probably in the spring or summer of 1996, I met you at a youth choir weekend in Neustadt. (...) I think I never thanked you for your hospitality and great kindness. So: thank you very much. Although I did not understand much of what you showed me, I appreciate it even more in retrospect. ehemalige Teilnehmerin, 2015: "Über meine Jahre als aktiver MuWorianer kannst Du gern zitieren. Die Kurzfassung lautet einfach: „Die MuWos bedeuteten mir früher ALLES! Etwas ausführlicher wäre dies: Die MuWos bedeuteten mir früher alles! Ich lernte dort Gleichgesinnte kennen, fand Freunde. Ich lernte dort, anspruchsvolle Stücke mit Chor und Band zu musizieren, deren Texte nicht immer, aber immer wieder auch meinen Glauben auszudrücken vermochten. Und ich lernte den Wert der Gemeinschaft schätzen, in die viele etwas einbrachten und in der auch ich meine Stärken entfalten konnte. Die MuWos waren für mich Höhepunkte im Jahr. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, eines dieser Wochenenden zu verpassen, denn sie bedeuteten mir alles.“ ehemaliger Teilnehmer, 2016 (...) Ich muss noch sehr oft an die tollen MuWos denken. Es war keins dabei, welches nicht besonders schön gewesen wäre. War – auch wenn es „nur zwei Wochenenden im Jahr waren – doch fester und wichtiger Bestandteil meiner Jugend. U.a. mit (...) habe ich viel Kontakt und wir schwelgen oft in schönen Erinnerungen an die Zeit. Finde ich echt super, dass Du das aufrecht erhalten konntest und wolltest. Da gehört schon viel Herzblut dazu!
ehemalige Teilnehmerin bei MuWo und F&F (Chor#&Band Feuer&Flamme), heute Gesangspädagogin: F&F bedeutete für mich ... musikalische Förderung auf einem hohen Niveau ... in einem sehr guten Chor zu singen, ohne jede Woche mehrmals zu Proben fahren zu müssen, was zeitlich nicht möglich gewesen wäre ... Bühnenerfahrung zu sammeln (Präsenz, größere Soli, Vokalimprovisation) ... ein Projekt, bei dem ich die Leidenschaft entdecken und immer wieder erleben konnte, auf der Bühne zu stehen und Menschen mit meinem Gesang zu erfreuen. ... Kontakt zu professionellen Musikern zu haben und einen kleinen Einblick in deren Arbeitsweise zu bekommen ... mir mithilfe des Einblicks ins professionelle Musikerleben und Gespräche mit Musikern ein Bild von dem Beruf zu machen. (...) ... auf das stolz sein zu können, was ich gelernt hatte. Z.B. wenn mir sängerisch etwas gelang, was ich vorher nicht konnte. Oder wenn ich zum ersten Mal ein größeres Solo singen durfte, mit dem ich im Konzert zufrieden war und zu dem ich von anderen positives Feedback bekam. ... mehr Selbstvertrauen zu gewinnen / in meinem Gesang und meiner Art von Mitsängern, dir und dem Publikum bestärkt zu werden ... von anderen zu lernen und selber anderen etwas beizubringen. ... Freunde aus dem Bistum (,die ich schon vom MuWo kannte) wiederzusehen. Sich anderweitig zu treffen war wegen der großen Distanz der Wohnorte schwierig. ... meinen Glauben mit der Musik auszudrücken und teilweise durch Anregungen, die mir die Texte gaben, zu vertiefen und zu überdenken. ... ein mit Freude erfülltes Wochenende, an dem ich oft auftanken konnte. ... meine Aufgaben organisieren und Entscheidungen treffen zu lernen. Für Klassenarbeiten musste ich z.B. dann eben vor dem Wochenende lernen. Oder, wenn ich gemerkt habe, dass mir Hobbys, Kontakte pflegen und Schule in einem Zeitraum mal zu viel wird, musste ich mich für oder gegen das nächste F&F-Wochenende entscheiden. ... neben der klassischen Musik im Gesangsunterricht (den ich ein paar Jahre nach meinem ersten F&F-WE begann) auch Popularmusik singen zu können und stilistisch typische Rhythmen (z.B. Swing, Rumbaclave), Klangfarben etc zu lernen. Außerdem ergänzte F&F Aspekte, die eben in meinem Gesangsunterricht oder auch im Musikunterricht der Schule wenig Gewicht hatten z.B. durch Rhythmusübungen.
aus: Jan Szymanski, Das "Neue Geistliche Lied" im Umfeld der Populäre Christlichen Musik - eine analytische Betrachtung zu Terminologie, Enwicklungsgeschichte und musikalische Realisation, Staatsexamensarbeit der Hochschule für Musik Carl-Maria von Weber Dresden, 2003 (Jan Szymanski war in den 90er Jahren selber tragendes Mitglied der Musikalischen Wochenenden.) Ein Blick in die Praxis: Kirchenmusiker Klaus-Hermann Anschütz „beim Wort genommen“ 1. „Klaus-Hermann Anschütz, wie sind sie als eher „klassisch“ ausgebildeter Kirchenmusiker zum NGL gekommen?“ „Ich hatte schon als Schüler einige Erfahrungen als Sänger und Keyboarder in der heimatlichen Kirchenband. Wichtiger noch waren einige Fahrten mit einer Jugendgruppe, in der in Gottesdiensten und zur Geselligkeit mit großer Begeisterung NGL – meist zur Gitarre - gesungen wurde. Hier erlebte ich intensiv die gemeinschaftsfördernde Wirkung der Musik. Für diese Gruppe habe ich übrigens meine ersten NGL geschrieben, z. B. den Kanon „Fürchtet euch nicht“ oder das „Heilig bist Du, Herr“, die heute zu meinen erfolgreichsten Titeln zählen. In der kirchenmusikalischen Ausbildung an der Musikhochschule Hannover spielte geistliche Popularmusik überhaupt keine Rolle. Dazu bin ich dann später wieder gekommen. Ein Grund ist, daß ich gerne komponiere und im NGL, anders als in der Neuen Musik, die ich ebenfalls sehr schätze, Kreativität in einer Art und Weise ausleben kann, die ein größeres Publikum erreicht. Ein anderer Grund ist, daß ich den Umgang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mag; mit NGL kann ich in meinem Umfeld der Überalterung der Kirche entgegenwirken. 2. „ Was waren für Sie die Beweggründe vor nunmehr vor fast 10 Jahren die „Musikalischen Wochenenden für Jugendliche auf dem Wohldenberg“ im Bistum Hildesheim zu gründen und diese bis heute zu leiten?“ „Als ich 1989 nach dem Kirchenmusik-A-Examen von der Musikhochschule in die Kirche wechselte, stellte ich fest, dass in vielen Fällen ein „klampfender“ Gemeindereferent die Gemeinde mehr erreichte als ich professioneller Musiker Das ärgerte mich. Ich erkannte die Notwendigkeit, eine musikalische Sprache zu sprechen, die mich mehr in Kontakt zu meinem Publikum bringt und die der fortschreitenden Überalterung der Kirche entgegenwirkt. So entschied ich mich dafür, im Januar 1991 das erste der „Musikalische Wochenende für Jugendliche“ durchzuführen. Diese MuWo’s laden im Bistum Hildesheim bis heute 2-3 mal im Jahr „alle Jugendlichen, die Freude am Singen und Musizieren haben“ – so die Formulierung der Einladungen – zu intensiven Wochenenden mit dem Schwerpunkt NGL ein.“ 3. „Sie haben sehr viel Erfahrung in der musikalischen Arbeit mit Jugendlichen in der Kirche. Worin liegen für Sie die Motive, das viele Jugendliche in der Kirche „NGL“ singen und, musizieren?“ „Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass sich im Vergleich zu meiner Jugendzeit die Szenerie grundlegend gewandelt hat. In den siebziger Jahren sangen Jugendliche Neue geistliche Lieder als Ausdruck einer Protesthaltung gegen die etablierte Kirche. Dieses Element ist heute fast vollständig verschwunden. Heute werden NGL den Jugendlichen i.d.R. von pastoralen Mitarbeitern der Kirche vorgesetzt, in der berechtigten Hoffnung, daß auf diese Weise Jugendlichen eher erreicht und motiviert werden als durch das Singen traditioneller Kirchenlieder. Heute sind die Sakramentenpastoral und Kinder- und Jugendgottesdienste kaum noch ohne NGL vorstellbar. Folgerichtig werden von den meisten deutschen Diözesen –entsprechend auch von den evangelischen Landeskirchen – umfangreiche Maßnahmen zur Förderung von NGL durchgeführt. Was für Gründe hat die deutliche Nachfrage nach NGL? Sicher ist, daß sie weniger auf ästhetischer Reflexion beruht – etwa einer differenzierten Wahrnehmung von textlichen und musikalischen Qualitäten, als auf der Erwartung auf Erfüllung psychischer und sozialer Bedürfnisse, vor allem nach Geborgenheit in einer Gemeinschaft. Eine bestimmte Musik, die von allen Gruppenmitgliedern verstanden und geschätzt wird, kann ein wesentlicher Auslöser von Gemeinschaftsgefühl sein. Wir wissen aus der Entwicklungspsychologie, wie wichtig die Altersgruppe für Jugendliche ist. Aber auch unter Erwachsenen ergab eine Umfrage kürzlich als wichtiges Erlebnismoment von Gottesdiensten das Gefühl von Gemeinschaft. 4. „Herr Anschütz, immer mehr Jugendliche stehen der Institution Kirche mit Ihren Glaubensgrundsätzen und Ansichten kritisch gegenüber und kehren der Kirche den Rücken zu. Liegt vielleicht im „NGL“ eine Chance, diesem Trend entgegen zu wirken?“ Diese Frage wird heute mehr und mehr mit „Ja, beantwortet. Sofern man die spezifischen Möglichkeiten richtig einschätzt und NGL im Kontext kirchlichen Gesamtlebens, natürlich auch von traditioneller Kirchenmusik sinnvoll einsetzt, kann NGL durchaus ein bereicherndes Element christlicher Verkündigung sein. Es sollte nicht versucht werden, berechtigte Kritik an der Kirche zu nivellieren oder mit Wohlklang einzulullen. Es kann aber viel Positives bewirkt werden, wenn im Lied erfahrbar wird, daß es um einen Gott geht, der das Leben liebt und möchte, daß es – wie auch immer! – gelingt. 5. Welche grundlegenden Unterschiede bestehen Ihrer Meinung nach zwischen der „klassischen“ Arbeit als Kirchenmusiker (liturgisches Orgelspiel und Literaturspiel), der Arbeit mit Erwachsenen (Chorleitung) und der Arbeit mit Jugendgruppen (Band, „NGL“-Chor)? „Die Arbeit mit der Popularmusik ist heute gar nicht mehr nur auf Jugendliche beschränkt. Neue geistliche Lieder gibt es nun ungefähr seit 1960 - im allgemeinen wird das Lied „Danke“ als Beginn der NGL-Bewegung gesehen. Die Jungen Leute von damals kommen jetzt immerhin nach und nach ins Rentenalter...... Für mich zählen mehr die musikalischen Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zwischen den Sparten. Alle Arten von Musik sollten mit Engagement und Kompetenz ausgeübt werden. Dann gibt es im musikalischen Denken und in der Aufführungspraxis faszinierende Analogien zwischen z.B. Barockmusik und Popularmusik: Denken Sie nur an die Entsprechungen von „Continuogruppe“ und „Rhythmusgruppe“ oder an Obligatstimmen/Complementstimmen und Hauptstimmen/Backgroundstimmen und andere. Auch sind Orgel und Syntesizer ja doch irgendwie wesensverwandt, wenngleich ich mich zur Orgel mehr hingezogen fühle als zur Elektronik. Es gibt auch wesentliche Unterschiede: Die klassische Musikausübung ist in der Regel leistungsorientiert, vom Spieler einer Beethoven-Sonate wird beispielsweise ein hoher technischer Standard erwartet, bevor er sich vor ein Publikum wagen darf. In der Popularmusik steht dagegen eher lustbetonte Musizierfreude im Vordergrund. Ziel klassischer Musikausübung ist meist das Herstellen und Realisieren eines abgeschlossenen Kunstwerkes, während es in der populären Musik oft vorrangig um eine intensive Kommunikation mit dem mitsingenden oder zuhörenden Publikum geht.“ 6. „Wie weit oder wie eng sehen Sie den Gattungsbegriff „NGL“, was gehört dazu, was eher nicht?“ „Der Begriff „Neues Geistliches Lied“ hat sich in den letzten Jahren als ein Sammelbegriff für viele Formen geistlicher Popularmusik eingebürgert. Unter NGL verstehe ich alle, teilweise zeitlich begrenzten Stile und Musizierformen der populären geistlichen Musik seit 1960 und zwar meist in deutscher Sprache. Innerhalb des NGL lassen sich verschiedenen Stile und Richtungen mit Übergangsformen auch Grenzbereiche zu anderen Musikrichtungen unterscheiden. Wichtig sind auch die Herausbildung regionaler und konfessioneller Szenen sowie die Orientierung an Altersgruppen z. B. in typischen Kinder- oder Jugendliedern. Alles in allem ein riesiger Bereich, der sich auch noch in ständiger Fluktuation befindet. 7.„Welche Qualitätskriterien stellen sie an ein NGL, um es aufzuführen und welche an sich selbst bei der Komposition eines „NGL“?“ Ich habe für mich selber den Begriff „Authentizität“ gefunden. Das bedeutet, dass ein Lied oder allgemein eine Musik in einem bestimmten ästhetischen, sozialen, funktionalen und historischen Kontext eine angemessene Position bezieht, der ich Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit unterstellen kann. Das heißt z. B., daß es auf der Skala zwischen „individueller Ausdifferenzierung“ und „Formelhaftigkeit“, auf der Skala zwischen „Komplexität“ und „Einfachheit“ keine Automatismen gibt. Einige Beispiele: Meine Stücke gelten im allgemeinen als anspruchsvoll. Ich liebe das beziehungsreiche Spiel mit Formen und Andeutungen aber ich kenne auch den Charme der Einfachheit. Für mich steht satztechnische Reichhaltigkeit und Sauberkeit weit oben in der Werteskala aber es gibt auch den Fall einer „allgemein gut getroffenen Stimmung“, hinter der technische Einzelheiten zurücktreten. Ich lasse mich dabei gerne auf eine gut gemachte Stimmung ein, reagiere aber aggressiv auf rührselige „Stimmungsmache“. „Authentizität“ ist also ein vielfältiger und durchaus subjektiver Wertmaßstab. 8.“Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten charakteristischen Eigenschaften bzw. Kennzeichen eines „NGL“?“ Seit „Danke“ sind ca. 50.000 Lieder unterschiedlichster Art entstanden – da ist es schwierig allgemeingültige Kennzeichen zu benennen. Ich will es aber versuchen: NGL unterscheidet sich von der weltlichen Popularmusik natürlich durch christlich-kirchlich-religiöse Texte, musikalisch oft durch eine deutliche Schwerpunktsetzung auf gemeinschaftliches Singen entweder als Gemeindegesang oder Chorgesang. NGL ist in großen Teilen eine Musik von musikalischen Amateuren oder Laien, obwohl es immer auch Profis gegeben hat – teilweise auch ausgesprochen kommerziell. Für mich ist NGL vorrangig eine deutschsprachige Erscheinung, auch wenn es starke Einflüsse von außen gibt, z. B. Praise-Music, Gospel, Taize-Gesänge, Folklore usw. Unterschiede zur Neuen sog. E-Musik sind evident. Das führt zu der interessanten Frage: Was macht eine populäre Musik populär? Da gibt es zunächst eine Fülle außermusikalischer Faktoren, die oft sogar die wesentlichen Gründe für Popularität sind – z. B. wenn Musik den Wertekodex gesellschaftlicher Gruppen repräsentiert. Innermusikalisch gesehen, sind oft sog. Klischees bedeutsam, was bedeutet, dass bestimmte vorgefertigte Muster - bestimmte Grooves, Harmoniemuster, Melodiewendungen usw. - reichlich verwendet werden. Hier bestehen große Unterschiede zur modernen E-Musik, in der meistens äußerste Individualisierung das Ziel ist. Im angedeuteten Sinn ist „Klischee“ aber nichts Negatives, sondern ein legitimes Mittel zur Erzeugung von Hörerwartungen. Auch Barockmusik kennt so etwas: Quintschrittsequenzen, Kadenzformen, Orgelpunkt usw. Solche Muster spielen für Verständlichkeit von Musik eine große Rolle. Beim Text liegt eine charakteristische Eigenschaft des NGL im Gegensatz zum traditionellen Kirchenlied darin, dass die religiöse Botschaft so unmittelbar formuliert wird, dass sie ohne biblischen oder liturgischen Erfahrungshintergund verstanden werden kann. Gottes Liebe zu den Menschen wird z. B. „wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus“ beschrieben und nicht in biblischen Allegorien wie in dem Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, die man nur dann verstehen kann, wenn man das Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen kennt. Neulich habe ich einen Rap gehört, in dem das Aufbrechen aus individueller Vereinsamung mit dem Rösten von Popcorn verglichen wird – „Die harte Schale platzt auf“. Finde ich originell! Jesus drückte sich ja auch in anschaulichen Gleichnissen aus. 9. „Welches sind Ihrer Meinung nach die „Hauptfunktionen“ eines NGL im Kontext zum Aufführung im Gottesdienst?“ „Zu der erwähnten Authentizität gehört für mich auch das Bejahen von Funktionalität: Eine Musik hat im Gottesdienst eine liturgische Bedeutung, die es ausüben darf und muss: Zum Kyrie gehört ein Kyrie-Gesang und nicht irgendetwas, sei es auch noch so schön. Zum Sanctus gehört ein Sanctus, zum Halleluja ein Halleluja, usw. Aufgrund dieser Einstellung bieten viele meiner Lieder Lösungen für liturgische Situationen an, so z.B. für die Zwischengesänge (Antwortpsalm und Halleluja) der Messfeier. Es tut sowohl den Liedern als auch dem Gottesdienst und letztlich auch den Menschen gut, wenn man die „Spielregeln“ einhält. Ich gebe gerne zu, daß dieses grundsätzliche Bejahen liturgischer Funktionalität ein konservativer Zug bei mir ist. NGL nimmt, wie schon erwähnt an der Verkündigung teil – viele meiner Lieder vertonen deshalb zentrale Bibeltexte. NGL kann eine neue gemeinschaftsorientierte Kommunikationssituation im Gottesdienst schaffen, während traditionelle Kirchenmusik mit ihrer Apostrophierung des Kunstcharakters mehr die individuelle Gottesbetrachtung fördert. Schließlich unterstreicht NGL wie auch traditionelle Kirchenmusik den Feiercharakter des Gottesdienstes, wenngleich die Art des Feiercharakters anders - weniger förmlich – ist. Ich hasse übrigens die gängige Redeweise von der „feierlichen“ oder sonstwie gearteten „Umrahmung“ des Gottesdienstes mit Musik. Gottesdienstliche Musik sollte kein belangloser Dudelrahmen sein, sondern selber Verkündigung und Liturgie in ihrer schönsten Form – so sehen es übrigens auch kirchenamtliche Empfehlungen.“ 10. „Äußern Sie sich zu der Aussage: „NGL´s sollten in erste Linie für die Gemeinde da sein und die Kennzeichnung der allgemeinen (leichten) Singbarkeit aufweisen!“ „Es muss im Gottesdienst mehrere Arten von Musik geben: Einerseits natürlich Lieder, die von der ganzen Gemeinde mitgesungen werden können. Sie repräsentieren das Wesentliche oder Allgemeingültige des Glaubens. Daneben muss es aber auch Musik geben, die zum Zuhören oder Meditieren gedacht ist oder sich in differenzierterer Weise mit Texten oder Themen auseinandersetzt. Diese Art Musik eignet sich gut für Chöre oder Musikgruppen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch den professionellen Musiker ins Spiel bringen. Musik muß im Gottesdienst unbedingt auch als Kunst vorkommen, sie repräsentiert dann das grenzüberschreitende Transzendente. Diese skizzierte Dreigliederung entspricht übrigens ungefähr den Stilbereichen des Gregorianischen Chorals und hat also in der Kirche eine alte Tradition. Für das Verhältnis von Gemeindeliedern und Musik zum Zuhören empfiehlt sich einer Umfrage zufolge ungefähr 6 zu 4 bis 7 zu 3.“ 11. „Wie beurteilen Sie den augenblicklichen „Fundus“ an „NGL“ im Kontext der Aufführungsmöglichkeit im Gottesdienst bzw. der musikalischen und liturgischen Qualität?“ „Was den Gesichtspunkt der „liturgischen Richtigkeit“ betrifft, ist es heute unter den mittlerweile 50.000 Liedern problemlos möglich Lieder zu finden, die für bestimmte Gottesdienste im Kirchenjahr richtig und korrekt einsetzbar sind. Natürlich gibt es bei so einer gewaltigen Anzahl von Liedern große Qualitätsunterschiede; auch spielt die Realisation der Lieder für die letztliche Qualität immer eine große Rolle. Eine andere Frage ist, ob der Einsatzort von NGL immer die Liturgie sein muß: Im Jahr 1999 erschien in einer Zeitung eine Zusammenstellung der „Hundert Wörter des 20. Jahrhunderts“ von „Aids“ über „Bikini, Flugzeug“ und andere bis „Wolkenkratzer“. Keines dieser Worte hatte mit Begriffen wie „Gott, Sakrament“ und „Evangelium“ zu tun, die uns kirchlichen Insidern so selbstverständlich sind. Lieder haben aber auch immer den Sinn von Lebensbewältigung, und Dinge wie „Holocaust“ oder auch „Sex“ lassen sich in liturgischer Sprache nur eingeschränkt bewältigen, also muß eine musikalisch-religiöse Auseinandersetzung damit auch außerhalb des Gottesdienstes stattfinden. Ich erinnere mich dabei an eine eindrückliche Aufführung eines Rock-Requiems „Die Kinder von Tschernobyl“ 12. „Wo liegt Ihrer Meinung nach der „künstlerische Wert“ des „NGL“ unter kirchenmusikgeschichtlichen, sozialen und aufführungspraktischem Blickwinkel betrachtet?“ „Die NGL-Welle setzt im kirchlichen Bereich in gewisser Weise die Singbewegung der ersten Jahrhunderthälfte fort, beziehungsweise übernimmt deren Funktion, auch nichtprofessionellen Musikern gültigen musikalischen Ausdruck zu ermöglichen. Dabei scheinen soziale Aspekte eine wesentliche Rolle zu spielen: In den 70-er Jahren gab es eine interessante Sprachtheorie, bei der es um schichtenspezifische Formen des Sprachverhaltens und ihr Einfluß auf die kognitiven Prozesse ging. Diese besagte u.a., dass die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, Sprache auf verschiedener Art und Weise handhaben. Die Mittelschicht spricht eine Sprache, die sich an den Intellekt wendet, und die aufgrund eines reichen Wortschatzes und ausdifferenzierter Grammatik auch komplizierte Sachverhalte präzise benennen kann. Im sogenannten „restringierten Code, der vorwiegend von der Unterschicht verwendet wird, ist dies nicht so gut möglich, aber dieser kann durchaus und zwar oft unmittelbarer und packender Emotionen vermitteln: In „Scheißregen!“ liegt unter Umständen mehr Wahrheit als in einer meteorologischen Analyse. Mit der Einschränkung, daß alle Vergleiche natürlich ihre Schwachstellen haben, möchte ich in Analogie zur Sprache die Popularmusik einer allgemeinverständlichen Umgangssprache zuordnen, während die Neue E-Musik die ausdifferenzierte Hochsprache ist. Leider hat sich letztere als Spezialistensprache weit von dem entfernt was Nichtfachleute verstehen können, so daß für Popularmusik eine dringende Notwendigkeit besteht – Das wird auch zunehmend von den kulturellen Institutionen so gesehen.“ 13. „Aus evangelischer Seite hört man zunehmend, das NGL sei tot. Wie beurteilen sie die Lage des NGL´s innerhalb der Katholischen Kirche?“ „In den letzten Jahren haben sich tatsächlich konfessionelle Unterschiede ergeben: Während man auf evangelischer Seite zunehmend das Neue Geistliche Lied als Untergruppe einer umfassenderen „Geistlichen Popularmusik“, sieht und dadurch versucht, die Produktionen professioneller Musiker und Bands von der einfachen Gemeindebegleitung abzusetzen, hält man in der katholischen Kirche, am Oberbegriff NGL fest und unterstreicht damit die Bedeutung des Gemeindeliedes. Wie schon bei der vorigen Frage deutlich wurde, unterstütze ich eher die katholische Sichtweise: Eine der Hauptfunktionen des NGL ist es „dem Volk aufs Maul schauen“ – Zitat von Martin Luther. Das beinhaltet für mich durchaus Vielfalt und Qualitätsbewußtsein, hält aber den Kontakt zur Basis. Beim ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin wird übrigens das typische NGL, getragen von der typischen Kirchenband neben dem zur Zeit modischen Gospel stark vertreten sein – von „Ende“ kann da nicht die Rede sein. Vielmehr ist NGL noch dabei, von einer kirchlichen Subkultur zu einer kirchlichen Hauptkultur durchzuschlagen. Man darf auf weitere Entwicklungen gespannt sein....“ 14. „Der nächste Frage möchte ich ein Zitat von Peter Janssens vorausgehen lassen: „Liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass die evangelische Kirchenmusikerschaft, wie die katholische, sich mehrheitlich dem Cäcilianischen Denken verpflichtet fühlt, das die Kirchenmusik für sie ein in sich geschlossener Raum ist, der sich selbst pflegt und sich selbst genügt, gelegentlich zur Verschönerung der Liturgie beiträgt, die Kirchenmusik aber nicht als integralen Bestandteil der Liturgie betrachtet? Ist das der Grund dafür, dass sich die Kirchenmusiker und Ihre Ausbildungsinstitute, bis auf wenige, seit 20 Jahren konstant wehren, die Versuche (...) neuer Lieder wahrzunehmen oder sie gar zu unterstützen?“° Wie beurteilen Sie die Aussage nach nunmehr gut 13 Jahren vergangener Zeit und wie schätzten Sie nunmehr die Bereitschaft und Offenheit innerhalb der Kirchenmusikerschaft gegenüber dem NGL ein?“ „Wo die traditionelle kirchenmusikalische Sozialisation noch intakt ist, erzieht sie uns Kirchenmusiker – ich möchte mich da selber nicht ausnehmen – zum einsamen Künstler vor Gott, dessen Hauptaufgabe es ist, die großen Kunstwerke der Tradition vom Gregorianischen Choral über die Messen von Palestrina, die Oratorien und Orgelfugen von Bach bis zu den Meditationen von Messiaen zu interpretieren und zu reproduzieren. Diese Einstellung führt in vielen Fällen zu einer wirklich beeindruckenden Interpretationskultur. Leider wird dabei oft die zeitgenössische Musik abgelehnt – und zwar E- und U-Musik gleichermaßen; ein musealer Repertoirebetrieb ist die Folge. Meine Anfrage in Anlehnung an eine Frage Jesu an seine Jünger ist: „Für wen halten die Kirchenmusiker den Menschensohn?“ Wo bleibt bei aller Wertschätzung von Schütz, Bach, Mozart und anderen unsere persönliche Stellungnahme in Tönen? Ein anderer Aspekt: So mancher kirchenmusikalische Kunstanspruch scheitert in der Praxis an dem Vorgang den ein Theologe „Abschmelzen des kirchlichen Milieus“ genannt hat. Der einsame Künstler oder auch Priester vor Gott erregt mitunter eher Befremden als Verständnis. Viele meiner Kollegen kommen dadurch in Identitätskonflikte; ich selber habe das auch durchmachen müssen. Die häufige Präferenz von NGL in den Gemeinden wird dann u. U. als Bedrohung der eigenen Position empfunden, die Abwehrreaktionen auslöst. Positiv ist deshalb ein Wandel bei den Ausbildungsinstituten zu werten, wo vielerorts die christliche Popularmusik Einzug in die Lehrpläne gehalten hat.“ 15. „Wie treten Sie als „NGL-Fan“ Ihrem beruflichem, vielleicht manchmal etwas konservativem, Umfeld entgegen und wie ist Ihrer Meinung nach die „Lobby“ Ihrer eigenen Person innerhalb dieses Berufsfeldes der Kirchenmusik?“ „Ich wehre mich gegen die Einschätzung, ein reiner NGL-Fan zu sein. Ich vereine in meiner Person ja durchaus verschiedene Positionen: Ich fühle mich als Fan guter, lebendiger Musik, als Fan von Musik, die mich berührt oder die mir etwas sagt. Das ist Musik aus ganz verschiedenen Epochen von Perotin bis Tristan Murail – NGL ist nur ein Teil meiner Interessen, abgesehen mal davon, daß ich von ca. 90% der NGL, die mir begegnen, kein Fan bin. Allerdings gelte ich inzwischen als NGL-Protagonist. Hier einige Reaktionen darauf - „aus dem Leben gegriffen“: Der Kollege, der sich öffentlich über den niveaulosen Regionalkantor, der mit den Jugendlichen so furchtbare Lieder singt, beschwert. Der Kollege für den „NGL kein Thema ist“ und der mich in bestimmter Attitüde über das Niveau von Musik aufklärt. Ein anderer Kollege hat trotz künstlerisch anderer Meinungen schon mal tatkräftig mit angepackt. Unter den Pfarrern und pastoralen Mitarbeitern, auch übrigens unter Leitern und Sängern von NGL-Gruppen oder Chören gibt es etliche, die niveauvolle musikalischer Arbeit geradezu fürchten. Für andere wiederum ist ein Kirchenmusiker ganz unabhängig von sachlich detaillierten Erwägungen in jedem Fall ein Repräsentant traditionalistisch-antiquierter Ideale. Ich erinnere mich an den Küster einer Domkirche, an seinen Stoßseufzer über die „verrückten Jugendlichen und ihre laute Musik“ – aber auch daran, daß er nach dem Gottesdienst zu mir kam – die Musik wäre „in Ordnung“ gewesen. Ich erinnere mich an das Mädchen, das mir schrieb, ohne MuWo’s würde ihr „echt was fehlen im Leben“, an die Gemeindereferentin, die mir sagte, ein Gottesdienst wäre der schönste ihres Lebens gewesen. Ich denke an viele Gelegenheiten, wo ich mit hochmotivierten Menschen NGL musizieren konnte. Schließlich bemerke ich neben großen Widerständen in den letzten Jahren auch zaghafte, aber wohlwollende Förderung „von oben“. Die Reaktionen sind also vielfältig wie das Leben selber. Wie ich damit umgehe? Mit den Jahren gelassener!“ 16. „Welche Formen von musikalischer Aufführungspraxis des „NGL“ werden von Ihnen favorisiert und wie gehen Sie persönlich bei der Erarbeitung eines Arrangements vor?“ „Träger des NGL ist bei mir meist ein Chor mit Rhythmusgruppe mit oder ohne Gemeindegesang. Bei Chorsätzen strebe ich je nach Möglichkeiten eine abwechslungsreiche Disposition der Chor – auch Solostimmen an. Die Rhythmusgruppe besteht aus den Instrumenten Baß, Klavier, Gitarre und evtl. Schlagzeug, die auch möglichst differenziert eingesetzt werden. Ich verwende elektronische Instrumente und Verstärkung, mache aber nur im Ausnahmefall von den spezifischen Möglichkeiten elektronischer Sounds Gebrauch. Vorhandene Melodieinstrumente werden nach Möglichkeiten und Fähigkeiten der SpielerInnen eingesetzt: sie spielen Chorstimmen mit, sie gestalten Vor- und Zwischenspiele und anderes. Oft schreibe ich aus der Situation heraus eine instrumentale Gegenstimme, manchmal kann ich mich auch auf improvisatorische Fähigkeiten der meist jugendlichen Musikanten verlassen. Oder ich versuche ihnen zu vermitteln mit Guidelines und Fill ins umzugehen, eine Melodie zu umspielen oder nach Akkordsymbolen zu improvisieren. Das Ganze läuft natürlich situationsbezogen: mit einer Firmgruppe kann ich nur einstimmig singen und begleite selber am Klavier. Bei den Musikalischen Wochenenden schrummelt, spielt und bläst oft jeder mit, der ein Instrument halten kann. Das kommt nicht unbedingt der Klangqualität zugute, macht aber Spaß. Wenn es die Zeit zuläßt, versuche ich eine abwechslungsreichere Gestaltung auch mit den Laienmusikern zu realisieren. Bei meiner privaten Gruppe „Feuer & Flamme“ arbeite ich bei den Instrumentalisten mit Musikstudenten und Profis zusammen. Das setzt dann wieder neue Akzente. Ein wichtiges Kriterium für Arrangements ist, wie schon erwähnt, ob es sich um ein Gemeindelied handelt, bei dem klare, übersichtliche, sinnfällige Formen und Signale angesagt sind, oder um ein Vortragsstück, bei dem die Gestaltung differenzierter sein muß. Die Notation erfolgt bei einfachen Stücken als Lead Sheet, mit Text, Vokalstimmen und Akkordsymbolen. Meist schreibe ich in letzter Zeit sog. Piano/Vocal-Arrangements mit vollständigen Gesangsstimmen und mehr oder weniger vollständiger Instrumentalbegleitung auf zwei Systemen; seltener schreibe ich vollständige Arrangements, z. B. mit Bläsersätzen. Sofern die Form des Stückes nicht unmittelbar aus der Notation hervorgeht, muß - mündlich oder schriftlich – eine sog. „amtliche Form“ verabredet bzw. vorgegeben werden, die dann – hoffentlich! – jeder der Mitwirkenden im Kopf hat.“ 17. „Was wünschen sie sich persönlich für die Zukunft des NGL in der Kirche?“ „Ich möchte an dieser Stelle andere für mich sprechen lassen, zunächst den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog: „Kultur ist da, wo das Alte immer neu interpretiert und dem Neuen eine Chance gegeben wird“ In diesem Sinne wünsche ich mir eine friedliche Koexistenz von Tradition und Moderne, von Elitärem und Populären zum wechselseitigen Nutzen und zum Gewinn für die Menschen. Wie kann dieser aussehen? Ich habe einmal einen guten Werbeslogan einer kulturellen Einrichtung gelesen: „Kunst und Kultur machen aus halben Portionen ganze Persönlichkeiten“ „Ganze Persönlichkeiten“ sind notwendig in Gesellschaft und Kirche – so ist auch die Botschaft Jesu zu verstehen In diesem Sinn hat Kultur, also auch das „Neue Geistliche Lied“ eine wichtige Aufgabe.“
Zum Schluß noch ein Artikel aus der ‚Kirchenzeitung für das Bistum Hildesheim“, 2001